Die Schlumpl
1. Preis im Geschichten Wettbewerb bei Kathrinchen Zimtstern
Erhältlich in der Anthologie zu diesem Wettbewerb über den Shop auf der Webseite
oder hier zum Download als Pdf
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Die hervorgehobenen Worte waren vorgegeben
Gärten, Parks und tiefer Wald, Hortensien, Springbrunnen, Bachlauf, Erdbeeren, Feuerstelle, pflanzen, sammeln, wandern, rosa, verwildert
Die Geschichte, die ich euch heute erzählen will, hat sich vor vielen Jahren in einem kleinen Dorf ereignet. Ein ganz normales Dorf, so wie ihr es kennt, wo vielleicht eure Oma wohnt oder ihr selbst.
Aber etwas war anders: Am Waldrand stand ein kleines, windschiefes Häuschen. Dort wohnte eine alte Frau mit ihrem schwarzen Kater. Ihre Nase war ein bisschen krumm und die Alte ging gebückt auf einen knorrigen Stock gestützt.
Keiner im Dorf wusste, wie sie eigentlich hieß, oder ob sie überhaupt einen Namen hatte. Alle nannten sie nur die »Schlumpl«, und das war nicht sehr nett gemeint.
Die Leute erzählten die tollsten Geschichten über die Schlumpl. Aus ihrer Hütte kämen seltsame Düfte, erzählten sie, und einer hatte gesehen, wie sich eine Wolke auf das Dach ihrer Hütte gesetzt hatte. Ja, vielleicht könnte sie sogar zaubern, hieß es. Ob sie etwa eine Hexe war? Wer glaubt schon an Hexen – aber konnte man sicher sein?
Die Eltern im Dorf sahen es gar nicht gern, wenn ihre Kinder dort am Waldrand spielten.
»Geht besser nicht in die Nähe von Schlumpls Hütte, wer weiß, was euch da alles passieren kann«, sagten sie dann. Und manche sagten sogar: »Geht bloß der Schlumpl aus dem Weg, wer weiß, ob sie nicht kleine Kinder mitnimmt und verhext.«
Und wenn die Kinder nicht das taten, was ihre Eltern wollten, dann hörte man manche Mutter wohl auch einmal sagen: »Wenn du jetzt nicht brav bist, dann bring ich dich zur Schlumpl!«
Das half dann meistens.
In diesem Dorf wohnte auch Lotta mit ihren Eltern und Geschwistern. Sie hatten ein hübsches Reihenhaus mit einem gepflegten Vorgarten. Dort plätscherte ein Springbrunnen und rosa Hortensien wuchsen am Zaun. Lotta hasste die Farbe Rosa. Sie trug am liebsten ihre alten Jeans und spielte mit ihrem Freund Jakob. Sie spielten am Bachlauf, wo sie versuchten, die flinken Forellen mit den Händen zu fangen oder wanderten weit über die Wiesen. Manchmal gingen sie in den Wald auf verwilderten Pfaden und sammelten seltsam gewachsene Wurzeln oder Tannenzapfen, mit denen man werfen konnte. Sie kletterten im alten Steinbruch herum und bauten Baumhäuser. Sie hatten eine Menge Spaß zusammen und erlebten viele Abenteuer.
Auch über die alte Schlumpl machten die beiden sich so ihre eigenen Gedanken.
»Ich möchte gar zu gern wissen, was es mit der Schlumpl auf sich hat«, sagte Lotta eines Tages zu Jakob. Wollen wir uns nicht einmal anschleichen und sie belauschen und beobachten?«
»Meine Mama hat es verboten, sie sagt, die Schlumpl sei eine Hexe«, antwortete Jakob zögernd, »aber neugierig bin ich natürlich auch.«
Die beiden schlenderten aus dem Dorf, so wie immer, als ob sie ganz harmlos spielen gingen. Als sie ein gutes Stück weit von den letzten Häusern entfernt waren, änderten sie die Richtung, und bummelten weiter, aber jetzt in Richtung auf Schlumpls Hütte zu. Sie pflückten Blumen unterwegs und wilde Erdbeeren - so, als ob sie nicht vorhätten, die Schlumpl zu belauschen.
»Jakob, schau mal dort, die alte krumme Kiefer.« Lotta zeigte auf einen knorrigen Baum am Waldrand. »Die ist ganz toll. Da klettern wir rauf und von dort aus können wir ganz prima die alte Schlumpl beobachten.«
Gesagt - getan. Hurtig liefen die beiden zu der alten Kiefer und kletterten hinauf. Jakob fand einen dicken Ast und machte es sich darauf bequem. Lotta kletterte ein Stückchen höher und setzte sich dort auf einen Ast. Es war ein schöner Herbsttag, die Sonne schien, der Wind spielte mit den bunten Blättern der Bäume. Vögel zogen über die beiden Freunde hin. Sie saßen friedlich in ihrem Baum, und schauten auf Schlumpls Haus.
Eine ganze Weile verstrich. Nichts geschah. Da – auf einmal ging die Tür von Schlumpls Hütte auf. Wie die Alte schon aussah: gekrümmt auf den Stock gestützt, mit einem alten Kopftuch, die lange Nase schaute heraus, und um ihre Beine strich der schwarze Kater. Den beiden Kindern lief eine Gänsehaut über den Rücken. Was – wenn sie die beiden jetzt entdeckte? Hatten die Eltern sie nicht immer wieder gewarnt? Ein bisschen mulmig wurde es ihnen.
Jetzt setzte die Alte sich langsam in Bewegung. War denn das die Möglichkeit? Sie kam genau auf ihren Baum zu. Ob sie hellsehen konnte, ob sie längst wusste, dass da zwei Lauscher saßen?
Die beiden bekamen einen fürchterlichen Schrecken.
»Nichts wie weg, bevor die Alte da ist«, flüsterte Jakob aufgeregt. »Wer weiß, was sie mit uns macht, wenn sie uns erwischt!«
Den beiden fielen die unheimlichen Geschichten ein, die im Dorf über die Schlumpl erzählt wurden.
Nur schnell vom Baum herunter - der Jakob zuerst, Lotta hinterher. Jakob war schon unten und lief um sein Leben. Da geschah das Unglück: Lotta blieb mit ihrer Hose an einem Ästchen hängen, kam ins Rutschen, wollte sich noch festhalten, kriegte keinen Halt und plumpste zu Boden. Sie schlug hart mit dem Kopf auf und verlor das Bewusstsein …
Aber etwas war anders: Am Waldrand stand ein kleines, windschiefes Häuschen. Dort wohnte eine alte Frau mit ihrem schwarzen Kater. Ihre Nase war ein bisschen krumm und die Alte ging gebückt auf einen knorrigen Stock gestützt.
Keiner im Dorf wusste, wie sie eigentlich hieß, oder ob sie überhaupt einen Namen hatte. Alle nannten sie nur die »Schlumpl«, und das war nicht sehr nett gemeint.
Die Leute erzählten die tollsten Geschichten über die Schlumpl. Aus ihrer Hütte kämen seltsame Düfte, erzählten sie, und einer hatte gesehen, wie sich eine Wolke auf das Dach ihrer Hütte gesetzt hatte. Ja, vielleicht könnte sie sogar zaubern, hieß es. Ob sie etwa eine Hexe war? Wer glaubt schon an Hexen – aber konnte man sicher sein?
Die Eltern im Dorf sahen es gar nicht gern, wenn ihre Kinder dort am Waldrand spielten.
»Geht besser nicht in die Nähe von Schlumpls Hütte, wer weiß, was euch da alles passieren kann«, sagten sie dann. Und manche sagten sogar: »Geht bloß der Schlumpl aus dem Weg, wer weiß, ob sie nicht kleine Kinder mitnimmt und verhext.«
Und wenn die Kinder nicht das taten, was ihre Eltern wollten, dann hörte man manche Mutter wohl auch einmal sagen: »Wenn du jetzt nicht brav bist, dann bring ich dich zur Schlumpl!«
Das half dann meistens.
In diesem Dorf wohnte auch Lotta mit ihren Eltern und Geschwistern. Sie hatten ein hübsches Reihenhaus mit einem gepflegten Vorgarten. Dort plätscherte ein Springbrunnen und rosa Hortensien wuchsen am Zaun. Lotta hasste die Farbe Rosa. Sie trug am liebsten ihre alten Jeans und spielte mit ihrem Freund Jakob. Sie spielten am Bachlauf, wo sie versuchten, die flinken Forellen mit den Händen zu fangen oder wanderten weit über die Wiesen. Manchmal gingen sie in den Wald auf verwilderten Pfaden und sammelten seltsam gewachsene Wurzeln oder Tannenzapfen, mit denen man werfen konnte. Sie kletterten im alten Steinbruch herum und bauten Baumhäuser. Sie hatten eine Menge Spaß zusammen und erlebten viele Abenteuer.
Auch über die alte Schlumpl machten die beiden sich so ihre eigenen Gedanken.
»Ich möchte gar zu gern wissen, was es mit der Schlumpl auf sich hat«, sagte Lotta eines Tages zu Jakob. Wollen wir uns nicht einmal anschleichen und sie belauschen und beobachten?«
»Meine Mama hat es verboten, sie sagt, die Schlumpl sei eine Hexe«, antwortete Jakob zögernd, »aber neugierig bin ich natürlich auch.«
Die beiden schlenderten aus dem Dorf, so wie immer, als ob sie ganz harmlos spielen gingen. Als sie ein gutes Stück weit von den letzten Häusern entfernt waren, änderten sie die Richtung, und bummelten weiter, aber jetzt in Richtung auf Schlumpls Hütte zu. Sie pflückten Blumen unterwegs und wilde Erdbeeren - so, als ob sie nicht vorhätten, die Schlumpl zu belauschen.
»Jakob, schau mal dort, die alte krumme Kiefer.« Lotta zeigte auf einen knorrigen Baum am Waldrand. »Die ist ganz toll. Da klettern wir rauf und von dort aus können wir ganz prima die alte Schlumpl beobachten.«
Gesagt - getan. Hurtig liefen die beiden zu der alten Kiefer und kletterten hinauf. Jakob fand einen dicken Ast und machte es sich darauf bequem. Lotta kletterte ein Stückchen höher und setzte sich dort auf einen Ast. Es war ein schöner Herbsttag, die Sonne schien, der Wind spielte mit den bunten Blättern der Bäume. Vögel zogen über die beiden Freunde hin. Sie saßen friedlich in ihrem Baum, und schauten auf Schlumpls Haus.
Eine ganze Weile verstrich. Nichts geschah. Da – auf einmal ging die Tür von Schlumpls Hütte auf. Wie die Alte schon aussah: gekrümmt auf den Stock gestützt, mit einem alten Kopftuch, die lange Nase schaute heraus, und um ihre Beine strich der schwarze Kater. Den beiden Kindern lief eine Gänsehaut über den Rücken. Was – wenn sie die beiden jetzt entdeckte? Hatten die Eltern sie nicht immer wieder gewarnt? Ein bisschen mulmig wurde es ihnen.
Jetzt setzte die Alte sich langsam in Bewegung. War denn das die Möglichkeit? Sie kam genau auf ihren Baum zu. Ob sie hellsehen konnte, ob sie längst wusste, dass da zwei Lauscher saßen?
Die beiden bekamen einen fürchterlichen Schrecken.
»Nichts wie weg, bevor die Alte da ist«, flüsterte Jakob aufgeregt. »Wer weiß, was sie mit uns macht, wenn sie uns erwischt!«
Den beiden fielen die unheimlichen Geschichten ein, die im Dorf über die Schlumpl erzählt wurden.
Nur schnell vom Baum herunter - der Jakob zuerst, Lotta hinterher. Jakob war schon unten und lief um sein Leben. Da geschah das Unglück: Lotta blieb mit ihrer Hose an einem Ästchen hängen, kam ins Rutschen, wollte sich noch festhalten, kriegte keinen Halt und plumpste zu Boden. Sie schlug hart mit dem Kopf auf und verlor das Bewusstsein …
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf einem weichen Bett.
»Wo bin ich bloß«, dachte sie und schaute um sich. Im Raum war es dämmrig, von der Decke baumelten hier und da Sträuße von getrockneten Blumen und Kräutern herab. Sie verströmten einen würzigen, lieblichen Duft. Ein Holztisch stand da, mit zwei Stühlen, es sah gemütlich aus. Ein alter Küchenschrank und ein verrußter Eisenherd vervollständigten die Einrichtung. Neben dem Ofen lehnte ein Tragkorb und ein knorriger Stock. Und dann gab es noch eine niedrige Tür aus Holz, die in einen anderen Raum führte.
Lotta fühlte sich ein bisschen unbehaglich. Ihr Kopf schmerzte noch ein wenig. Was war eigentlich geschehen, wo war sie? Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in einem solchen Zimmer gewesen zu sein. Es sah anders aus als alles, was sie bisher kennengelernt hatte. Von der Holztür kam ein Geräusch. Lotta sah, dass sie einen kleinen Spalt offen stand und erschrak plötzlich: Ein großer schwarzer Kater mit grünlich leuchtenden Augen kam dort auf Samtpfoten herein.
»Die Schlumpl!«, schoss es Lotta durch den Kopf, »Sie hat mich gefangen. Ob nun all das mit mir passiert, was die Leute im Dorf erzählen?« Ihr wurde sehr unheimlich zumute.
Der Kater kam an Lottas Lager heran. Aus seinen Katzenaugen musterte er das Mädchen genau. Die Schnurrhaare zitterten. Dann - ein Satz - und er ließ sich auf Lottas Bauch nieder und reckte behaglich - oder drohend? - seine Krallen.
»Wenn ich mich rühre, kratzt er mir die Augen aus. Er ist bestimmt verhext und muss die Gefangenen bewachen«, vermutete Lotta. Sie lag ganz still. Der Kater beobachtete sie.
Jemand näherte sich der Eingangstür mit schlurfenden Schritten. Jemand drückte die schwere Eisenklinke nieder. Mit einem quietschenden Knarren öffnete sich die Tür. Lotta fuhr zusammen, der Kater fauchte, sprang vom Bett und lief murrend zur Tür. Da war sie: die Schlumpl.
Aus dieser Nähe hatte Lotta sie noch nie gesehen, und sie sah in diesem Dämmerlicht noch unheimlicher aus. Sie sah nicht groß aus, weil sie gebeugt ging. Hatte sie nicht sogar einen Buckel? Um die Schultern hatte sie ein grobes Wolltuch geschlungen, darunter kam der lange, dunkle Rock hervor. Unten sah man gerade noch die Füße, die in klobigen Schuhen steckten.
Wie immer trug sie ein Kopftuch, aber nun konnte Lotta zum ersten Mal auch ihr Gesicht genauer betrachten. Die Haut war von Wind und Wetter wie gegerbt, die vielen Falten waren tief eingefurcht. Die große Nase war ein wenig abwärts gebogen. Auf einer Wange, dicht neben der Nase, hatte sie ein zweicentgroßes, dunkelrotes Mal. Der Mund war schmallippig und auf der Oberlippe - Lotta sah es mit Schrecken - wuchsen einige dunkle Barthaare. An einem Ohrläppchen, das unter dem Kopftuch hervorschaute, hing ein großer goldener Ring. Die Brauen standen buschig grau über den Augen und verliehen dem ganzen Gesicht etwas Düsteres.
Lotta versuchte unauffällig, die Augen der Schlumpl zu erspähen. Aber nun staunte sie. Denn statt eines stechenden Blickes begegnete sie einem Paar wasserheller, kluger, fast lustiger Äuglein. Das verwirrte sie sehr, wie passte das alles zusammen?
»Na, ausgeschlafen, junges Fräulein?«, schnarrte die Stimme der Schlumpl, »Du hast ja einen bösen Sturz gedreht. Ich will einmal sehen, ob ich etwas für deinen armen Kopf tun kann.«
»Jetzt geht's los, jetzt wird sie mich verhexen«, fuhr es Lotta in den Sinn, »Ich darf mich auf keinen Fall von ihr berühren lassen. Wie stelle ich das bloß an?«
Die Schlumpl war inzwischen an das Bett herangeschlurft. Mit einem Ruck setzte Lotta sich auf:
»Mir geht es großartig«, begann sie, »Ich … will nach Hause«, wollte sie sagen, aber mit einem Mal wurde ihr so schwindlig, dass sie unfreiwillig wieder auf ihr Lager zurücksank.
»Wo bin ich bloß«, dachte sie und schaute um sich. Im Raum war es dämmrig, von der Decke baumelten hier und da Sträuße von getrockneten Blumen und Kräutern herab. Sie verströmten einen würzigen, lieblichen Duft. Ein Holztisch stand da, mit zwei Stühlen, es sah gemütlich aus. Ein alter Küchenschrank und ein verrußter Eisenherd vervollständigten die Einrichtung. Neben dem Ofen lehnte ein Tragkorb und ein knorriger Stock. Und dann gab es noch eine niedrige Tür aus Holz, die in einen anderen Raum führte.
Lotta fühlte sich ein bisschen unbehaglich. Ihr Kopf schmerzte noch ein wenig. Was war eigentlich geschehen, wo war sie? Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in einem solchen Zimmer gewesen zu sein. Es sah anders aus als alles, was sie bisher kennengelernt hatte. Von der Holztür kam ein Geräusch. Lotta sah, dass sie einen kleinen Spalt offen stand und erschrak plötzlich: Ein großer schwarzer Kater mit grünlich leuchtenden Augen kam dort auf Samtpfoten herein.
»Die Schlumpl!«, schoss es Lotta durch den Kopf, »Sie hat mich gefangen. Ob nun all das mit mir passiert, was die Leute im Dorf erzählen?« Ihr wurde sehr unheimlich zumute.
Der Kater kam an Lottas Lager heran. Aus seinen Katzenaugen musterte er das Mädchen genau. Die Schnurrhaare zitterten. Dann - ein Satz - und er ließ sich auf Lottas Bauch nieder und reckte behaglich - oder drohend? - seine Krallen.
»Wenn ich mich rühre, kratzt er mir die Augen aus. Er ist bestimmt verhext und muss die Gefangenen bewachen«, vermutete Lotta. Sie lag ganz still. Der Kater beobachtete sie.
Jemand näherte sich der Eingangstür mit schlurfenden Schritten. Jemand drückte die schwere Eisenklinke nieder. Mit einem quietschenden Knarren öffnete sich die Tür. Lotta fuhr zusammen, der Kater fauchte, sprang vom Bett und lief murrend zur Tür. Da war sie: die Schlumpl.
Aus dieser Nähe hatte Lotta sie noch nie gesehen, und sie sah in diesem Dämmerlicht noch unheimlicher aus. Sie sah nicht groß aus, weil sie gebeugt ging. Hatte sie nicht sogar einen Buckel? Um die Schultern hatte sie ein grobes Wolltuch geschlungen, darunter kam der lange, dunkle Rock hervor. Unten sah man gerade noch die Füße, die in klobigen Schuhen steckten.
Wie immer trug sie ein Kopftuch, aber nun konnte Lotta zum ersten Mal auch ihr Gesicht genauer betrachten. Die Haut war von Wind und Wetter wie gegerbt, die vielen Falten waren tief eingefurcht. Die große Nase war ein wenig abwärts gebogen. Auf einer Wange, dicht neben der Nase, hatte sie ein zweicentgroßes, dunkelrotes Mal. Der Mund war schmallippig und auf der Oberlippe - Lotta sah es mit Schrecken - wuchsen einige dunkle Barthaare. An einem Ohrläppchen, das unter dem Kopftuch hervorschaute, hing ein großer goldener Ring. Die Brauen standen buschig grau über den Augen und verliehen dem ganzen Gesicht etwas Düsteres.
Lotta versuchte unauffällig, die Augen der Schlumpl zu erspähen. Aber nun staunte sie. Denn statt eines stechenden Blickes begegnete sie einem Paar wasserheller, kluger, fast lustiger Äuglein. Das verwirrte sie sehr, wie passte das alles zusammen?
»Na, ausgeschlafen, junges Fräulein?«, schnarrte die Stimme der Schlumpl, »Du hast ja einen bösen Sturz gedreht. Ich will einmal sehen, ob ich etwas für deinen armen Kopf tun kann.«
»Jetzt geht's los, jetzt wird sie mich verhexen«, fuhr es Lotta in den Sinn, »Ich darf mich auf keinen Fall von ihr berühren lassen. Wie stelle ich das bloß an?«
Die Schlumpl war inzwischen an das Bett herangeschlurft. Mit einem Ruck setzte Lotta sich auf:
»Mir geht es großartig«, begann sie, »Ich … will nach Hause«, wollte sie sagen, aber mit einem Mal wurde ihr so schwindlig, dass sie unfreiwillig wieder auf ihr Lager zurücksank.
Ihr war ganz schwummrig geworden, in ihrem Kopf drehte sich alles, sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wirr ging es in ihrem Gehirn durcheinander: Hexe, fängt kleine Kinder, aber so gute Augen, ich will nach Hause, ich habe Angst … Mama …
Das letzte hatte sie wohl laut gesagt.
Die Schlumpl setzte sich auf das Bett; Lotta versuchte, sich unter ihrer Hand fortzuwinden.
»Du Arme«, sagte die Schlumpl bloß, und legte Lotta die Hand auf die Stirn.
Wie gut das tat, diese warme, große Hand zu fühlen.
»Du hast Angst vor mir, nicht wahr?«, fuhr die Schlumpl fort; ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so schnarrend, eher alt und brüchig. »Du hast wohl auch die Geschichten gehört, die im Dorf über mich erzählt werden.«
Begütigend streichelte ihre Hand Lottas Kopf; das Mädchen wurde ein bisschen ruhiger, sie streckte sich auf ihrem Lager aus.
»Du brauchst keine Angst haben, ich will dir nichts tun.« Immer weiter streichelte die große warme Hand ihren wehen Kopf.
»Aber bevor wir uns ein wenig unterhalten können, sollte ich wirklich zuerst etwas für deinen Kopf tun. Ja, da haben die Leute wohl recht, aber nicht so wie sie's erzählen. Hexen kann ich freilich nicht, aber ich verstehe mich ein wenig auf's Heilen. Damit du nicht wieder Angst bekommst, erzähle ich dir, was ich tun werde: zuerst einmal muss ich deinen Kopf befühlen, so, wie ich's die ganze Zeit schon tue.«
Lotta wunderte sich, sie hatte gar nichts gemerkt; nur dass die Alte die ganze Zeit über ihren Kopf mit langsamen, wohltuenden Bewegungen streichelte.
»Die Knochen sind Gott sei Dank heil geblieben«, murmelte sie, hörte aber dennoch nicht mit dem Streicheln auf.
»Da hast du einen Schutzengel gehabt«, fuhr die Schlumpl fort, »Außer einer Beule und dass dein Gehirn ein wenig durchgeschüttelt ist, ist dir nichts passiert. Das hätte auch anders ausgehen können. Für deine Beule werde ich dir eine Kräuterkompresse machen. Dem durchgeschüttelten Gehirn hilft hauptsächlich Ruhe.«
Das klang vernünftig. Lotta fand, dass eine Kräuterkompresse nichts Gefährliches sei. Sie wunderte sich ein bisschen, dass die Schlumpl das Wort Schutzengel in den Mund nahm. Taten Hexen so etwas? Ihr ganzes Bild von der Schlumpl geriet durcheinander.
Die alte Frau war inzwischen aufgestanden, nahm eines von den wohlriechenden Kräuterbündeln herunter und machte sich am Herd zu schaffen. Während sie so herumhantierte, begann sie mit ihrer brüchigen Stimme leise zu erzählen.
»Ja, ja, ich weiß wohl, was die Leute im Dorf über mich erzählen. Sie mögen mich nicht, weil ich anders lebe als sie. Alles Mögliche dichten sie mir an, damit sie mir nicht nahe kommen müssen.
Aber ich war auch einmal jung und hatte Träume, so wie alle jungen Menschen. Die Menschen sagten, ich sei schön. Meine Haare waren tiefschwarz und glänzend. Jetzt sind sie grau.
Auch die Falten in meinem Gesicht sind nicht immer dort gewesen.
Als ich ein Kind war, wohnte ich mit meinen Eltern und Geschwistern in einem Wagen, der von Pferden gezogen wurde.« Die Schlumpl machte eine kurze Pause und rührte im Topf.
Lotta hatte aufmerksam zugehört. »Bist du eine Zigeunerin«, fragte sie schüchtern.
»Ja, so nennt ihr uns wohl und es ist nicht freundlich gemeint. Roma heißt unser Volk richtig. Viele Menschen verachten uns, weil sie uns nicht kennen. Sie wissen nichts von unseren Familien, von der Geborgenheit, die unsere Kinder erfahren.«
»Ich stelle es mir gemütlich vor, in so einem Wagen zu wohnen«, sagte Lotta. »Aber ist es nicht sehr eng?«
»Im Wagen selbst ist natürlich nicht viel Platz«, erzählte die Schlumpl weiter. »Aber ein großer Teil unseres Lebens spielte sich ja draußen ab. Am Abend versammelten sich die Familien um die große Feuerstelle. Wir haben zusammen gegessen, dann hat jemand eine Geige geholt, ein anderer ein Akkordeon und sie machten die schönste Musik, die du dir vorstellen kannst. Erwachsene und Kinder haben getanzt und wir waren fröhlich. Gern haben wir Gäste eingeladen.
So war es auch, als wir vor vielen Jahren hierher kamen und auf der großen Wiese vor dem Dorf unser Lager aufschlugen. Da war ich eine junge Frau und hübsch anzusehen.«
»Deine ganze Familie ist hier gewesen?« Lotta staunte. Ihre Eltern hatten nie erzählt, dass sie die Familie von der Schlumpl kannten.
»Ja«, sagte die Schlumpl, »aber nicht nur meine Familie, die ganze Sippe war hier. Wir wollten einige Tage hierbleiben und dann weiterziehen.
Die Dorfleute hatten Angst vor uns. Sie behaupteten, wir seien Diebe, und würden Vieh und Kinder stehlen. Was sollten wir wohl mit ihren Kühen, was mit ihren Kindern anfangen? Wir hatten selbst genug Kinder und es war manchmal schwer genug, alle satt zu bekommen. Die Erwachsenen konnten Teppiche knüpfen. Damit haben sie ihr Geld verdient.«
»Konntet ihr den Dorfleuten denn nicht erklären, dass ihr ehrliche Leute seid?«
»Wir haben es versucht. An einem Abend haben wir ein großes Fest veranstaltet, zu dem wir auch die Leute aus dem Dorf einluden. Sie sollten erfahren, dass sie sich vor uns nicht zu fürchten brauchten. Wir kauften einen Ochsen von einem Bauern im Dorf. Der wurde geschlachtet und über dem Feuer gebraten. Und nach dem Essen spielten unsere jungen Männer zum Tanz auf. Es war wundervoll.«
Das letzte hatte sie wohl laut gesagt.
Die Schlumpl setzte sich auf das Bett; Lotta versuchte, sich unter ihrer Hand fortzuwinden.
»Du Arme«, sagte die Schlumpl bloß, und legte Lotta die Hand auf die Stirn.
Wie gut das tat, diese warme, große Hand zu fühlen.
»Du hast Angst vor mir, nicht wahr?«, fuhr die Schlumpl fort; ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so schnarrend, eher alt und brüchig. »Du hast wohl auch die Geschichten gehört, die im Dorf über mich erzählt werden.«
Begütigend streichelte ihre Hand Lottas Kopf; das Mädchen wurde ein bisschen ruhiger, sie streckte sich auf ihrem Lager aus.
»Du brauchst keine Angst haben, ich will dir nichts tun.« Immer weiter streichelte die große warme Hand ihren wehen Kopf.
»Aber bevor wir uns ein wenig unterhalten können, sollte ich wirklich zuerst etwas für deinen Kopf tun. Ja, da haben die Leute wohl recht, aber nicht so wie sie's erzählen. Hexen kann ich freilich nicht, aber ich verstehe mich ein wenig auf's Heilen. Damit du nicht wieder Angst bekommst, erzähle ich dir, was ich tun werde: zuerst einmal muss ich deinen Kopf befühlen, so, wie ich's die ganze Zeit schon tue.«
Lotta wunderte sich, sie hatte gar nichts gemerkt; nur dass die Alte die ganze Zeit über ihren Kopf mit langsamen, wohltuenden Bewegungen streichelte.
»Die Knochen sind Gott sei Dank heil geblieben«, murmelte sie, hörte aber dennoch nicht mit dem Streicheln auf.
»Da hast du einen Schutzengel gehabt«, fuhr die Schlumpl fort, »Außer einer Beule und dass dein Gehirn ein wenig durchgeschüttelt ist, ist dir nichts passiert. Das hätte auch anders ausgehen können. Für deine Beule werde ich dir eine Kräuterkompresse machen. Dem durchgeschüttelten Gehirn hilft hauptsächlich Ruhe.«
Das klang vernünftig. Lotta fand, dass eine Kräuterkompresse nichts Gefährliches sei. Sie wunderte sich ein bisschen, dass die Schlumpl das Wort Schutzengel in den Mund nahm. Taten Hexen so etwas? Ihr ganzes Bild von der Schlumpl geriet durcheinander.
Die alte Frau war inzwischen aufgestanden, nahm eines von den wohlriechenden Kräuterbündeln herunter und machte sich am Herd zu schaffen. Während sie so herumhantierte, begann sie mit ihrer brüchigen Stimme leise zu erzählen.
»Ja, ja, ich weiß wohl, was die Leute im Dorf über mich erzählen. Sie mögen mich nicht, weil ich anders lebe als sie. Alles Mögliche dichten sie mir an, damit sie mir nicht nahe kommen müssen.
Aber ich war auch einmal jung und hatte Träume, so wie alle jungen Menschen. Die Menschen sagten, ich sei schön. Meine Haare waren tiefschwarz und glänzend. Jetzt sind sie grau.
Auch die Falten in meinem Gesicht sind nicht immer dort gewesen.
Als ich ein Kind war, wohnte ich mit meinen Eltern und Geschwistern in einem Wagen, der von Pferden gezogen wurde.« Die Schlumpl machte eine kurze Pause und rührte im Topf.
Lotta hatte aufmerksam zugehört. »Bist du eine Zigeunerin«, fragte sie schüchtern.
»Ja, so nennt ihr uns wohl und es ist nicht freundlich gemeint. Roma heißt unser Volk richtig. Viele Menschen verachten uns, weil sie uns nicht kennen. Sie wissen nichts von unseren Familien, von der Geborgenheit, die unsere Kinder erfahren.«
»Ich stelle es mir gemütlich vor, in so einem Wagen zu wohnen«, sagte Lotta. »Aber ist es nicht sehr eng?«
»Im Wagen selbst ist natürlich nicht viel Platz«, erzählte die Schlumpl weiter. »Aber ein großer Teil unseres Lebens spielte sich ja draußen ab. Am Abend versammelten sich die Familien um die große Feuerstelle. Wir haben zusammen gegessen, dann hat jemand eine Geige geholt, ein anderer ein Akkordeon und sie machten die schönste Musik, die du dir vorstellen kannst. Erwachsene und Kinder haben getanzt und wir waren fröhlich. Gern haben wir Gäste eingeladen.
So war es auch, als wir vor vielen Jahren hierher kamen und auf der großen Wiese vor dem Dorf unser Lager aufschlugen. Da war ich eine junge Frau und hübsch anzusehen.«
»Deine ganze Familie ist hier gewesen?« Lotta staunte. Ihre Eltern hatten nie erzählt, dass sie die Familie von der Schlumpl kannten.
»Ja«, sagte die Schlumpl, »aber nicht nur meine Familie, die ganze Sippe war hier. Wir wollten einige Tage hierbleiben und dann weiterziehen.
Die Dorfleute hatten Angst vor uns. Sie behaupteten, wir seien Diebe, und würden Vieh und Kinder stehlen. Was sollten wir wohl mit ihren Kühen, was mit ihren Kindern anfangen? Wir hatten selbst genug Kinder und es war manchmal schwer genug, alle satt zu bekommen. Die Erwachsenen konnten Teppiche knüpfen. Damit haben sie ihr Geld verdient.«
»Konntet ihr den Dorfleuten denn nicht erklären, dass ihr ehrliche Leute seid?«
»Wir haben es versucht. An einem Abend haben wir ein großes Fest veranstaltet, zu dem wir auch die Leute aus dem Dorf einluden. Sie sollten erfahren, dass sie sich vor uns nicht zu fürchten brauchten. Wir kauften einen Ochsen von einem Bauern im Dorf. Der wurde geschlachtet und über dem Feuer gebraten. Und nach dem Essen spielten unsere jungen Männer zum Tanz auf. Es war wundervoll.«
Die Schlumpl kam nun wieder herangeschlurft, die Kompresse war fertig. Behutsam legte sie diese nun auf Lottas Beule und befestigte sie mit einem Tuch.
»Ich habe auch einen Tee und etwas zum Essen für uns, du bist bestimmt hungrig und durstig.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, stellte sie ein Tablett mit duftendem Tee vor Lotta hin. Das sah ja verlockend aus. Obgleich sie sich geschworen hatte, nichts von der Schlumpl anzunehmen, konnte sie doch nicht widerstehen. Da gab es knuspriges, selbstgebackenes Brot, goldgelbe Butter und verschiedene Marmeladetöpfchen, deren Inhalt verführerisch roch. Lotta griff zu.
Als sie aufsah, bemerkte sie, dass sich das Gesicht der Schlumpl verändert hatte. Schon gleich, als sie die Schlumpl zum ersten Mal angesehen hatte, waren ihr die Augen aufgefallen. Aber nun sah ihr ganzes Gesicht ganz anders aus. Die Falten hatten sich geglättet, ihre Wangen hatten sich sanft gerötet. Die Augenbrauen, die vorher so buschig drohend über den Augen standen, waren hochgezogen, sahen irgendwie freundlicher aus. Über das ganze Gesicht ging ein Stahlen, das von den Augen seinen Ausgang nahm.
Zuerst hatte Lotta diese Augen klug und lustig gefunden. Aber jetzt leuchteten sie wasserhell wie ein See in den Bergen, als käme ein Leuchten aus ihrem Inneren, als sprühten fortwährend Funken – so schien es.
Schlumpl beachtete Lotta gar nicht. Sie war so in ihre Erinnerungen vertieft und erzählte weiter.
»An diesem Abend verliebte sich ein junger Bursche aus dem Dorf in mich, und ich mich in ihn. Ich bettelte bei meinen Eltern: ›Bitte, lasst uns noch ein paar Tage länger hierbleiben, es ist so schön hier!‹ Und sie gaben nach.
Wann immer es möglich war, traf ich mich mit meinem Schatz, Mattes hieß er.
Als das im Dorf bekannt wurde, gab es ein großes Gerede.
›Ausgerechnet mit so einer Dahergelaufenen gibt sich der Mattes ab, ist denn das zu fassen‹, sagten sie. Die Mädchen waren neidisch auf mich, denn der Mattes war der Sohn des reichsten Bauern im Dorf. Aus Neid ersannen sie alle möglichen Geschichten über mich. Aber der Mattes hielt zu mir. Auch meiner Sippe war es gar nicht recht, dass ich einen Schatz außerhalb meines Volkes gefunden hatte. Tradition zählt sehr viel bei uns.«
»Was ist damit gemeint?«, wollte Lotta wissen.
»Ach, weißt du, wenn die anderen Menschen immerzu schlecht über eine Gruppe reden, dann muss diese Gruppe eben ganz fest zusammen halten, um nicht kaputt zu gehen. Wir haben unsere eigenen Regeln, wie wir leben wollen und sogar unsere eigene Sprache, die kaum jemand anderes versteht. Und unsere Alten sehen es am liebsten, wenn die jungen Frauen Männer aus unserem Volk heiraten, damit unsere Lieder und unsere Gemeinschaft nicht verloren geht.
Aber dem Mattes und mir war das egal. Wir waren jung, wir waren voller Hoffnung und Zuversicht. Der Herrgott würde schon seine Hand über uns halten, so dachten wir. Also beschlossen wir zu heiraten, auch wenn so viele dagegen waren.
Meine Familie blieb bis zur Hochzeit. Aber das war kein großes Fest mehr. Meine Sippe wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich einen ›Gadscho‹, einen Fremden, heiraten wollte. Die Leute aus dem Dorf wollten mit uns ›Zigeunern‹ nichts mehr zu tun haben. Und die wenigen, die noch zu uns hielten, hatten nicht den Mut, dabei zu sein.
»Ich habe auch einen Tee und etwas zum Essen für uns, du bist bestimmt hungrig und durstig.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, stellte sie ein Tablett mit duftendem Tee vor Lotta hin. Das sah ja verlockend aus. Obgleich sie sich geschworen hatte, nichts von der Schlumpl anzunehmen, konnte sie doch nicht widerstehen. Da gab es knuspriges, selbstgebackenes Brot, goldgelbe Butter und verschiedene Marmeladetöpfchen, deren Inhalt verführerisch roch. Lotta griff zu.
Als sie aufsah, bemerkte sie, dass sich das Gesicht der Schlumpl verändert hatte. Schon gleich, als sie die Schlumpl zum ersten Mal angesehen hatte, waren ihr die Augen aufgefallen. Aber nun sah ihr ganzes Gesicht ganz anders aus. Die Falten hatten sich geglättet, ihre Wangen hatten sich sanft gerötet. Die Augenbrauen, die vorher so buschig drohend über den Augen standen, waren hochgezogen, sahen irgendwie freundlicher aus. Über das ganze Gesicht ging ein Stahlen, das von den Augen seinen Ausgang nahm.
Zuerst hatte Lotta diese Augen klug und lustig gefunden. Aber jetzt leuchteten sie wasserhell wie ein See in den Bergen, als käme ein Leuchten aus ihrem Inneren, als sprühten fortwährend Funken – so schien es.
Schlumpl beachtete Lotta gar nicht. Sie war so in ihre Erinnerungen vertieft und erzählte weiter.
»An diesem Abend verliebte sich ein junger Bursche aus dem Dorf in mich, und ich mich in ihn. Ich bettelte bei meinen Eltern: ›Bitte, lasst uns noch ein paar Tage länger hierbleiben, es ist so schön hier!‹ Und sie gaben nach.
Wann immer es möglich war, traf ich mich mit meinem Schatz, Mattes hieß er.
Als das im Dorf bekannt wurde, gab es ein großes Gerede.
›Ausgerechnet mit so einer Dahergelaufenen gibt sich der Mattes ab, ist denn das zu fassen‹, sagten sie. Die Mädchen waren neidisch auf mich, denn der Mattes war der Sohn des reichsten Bauern im Dorf. Aus Neid ersannen sie alle möglichen Geschichten über mich. Aber der Mattes hielt zu mir. Auch meiner Sippe war es gar nicht recht, dass ich einen Schatz außerhalb meines Volkes gefunden hatte. Tradition zählt sehr viel bei uns.«
»Was ist damit gemeint?«, wollte Lotta wissen.
»Ach, weißt du, wenn die anderen Menschen immerzu schlecht über eine Gruppe reden, dann muss diese Gruppe eben ganz fest zusammen halten, um nicht kaputt zu gehen. Wir haben unsere eigenen Regeln, wie wir leben wollen und sogar unsere eigene Sprache, die kaum jemand anderes versteht. Und unsere Alten sehen es am liebsten, wenn die jungen Frauen Männer aus unserem Volk heiraten, damit unsere Lieder und unsere Gemeinschaft nicht verloren geht.
Aber dem Mattes und mir war das egal. Wir waren jung, wir waren voller Hoffnung und Zuversicht. Der Herrgott würde schon seine Hand über uns halten, so dachten wir. Also beschlossen wir zu heiraten, auch wenn so viele dagegen waren.
Meine Familie blieb bis zur Hochzeit. Aber das war kein großes Fest mehr. Meine Sippe wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich einen ›Gadscho‹, einen Fremden, heiraten wollte. Die Leute aus dem Dorf wollten mit uns ›Zigeunern‹ nichts mehr zu tun haben. Und die wenigen, die noch zu uns hielten, hatten nicht den Mut, dabei zu sein.
Meine Leute sind dann weitergezogen. Meine Eltern haben mich noch einmal besucht später.
Der Vater von Mattes war so zornig auf seinen Sohn, dass er ihn vom Hof gejagt hat und aus seinem Testament gestrichen.«
»Ich weiß, was ein Testament ist«, unterbrach Lotta. »Als mein Opa gestorben ist, gab es auch eines. Er hat geschrieben, dass seine Tochter sein Klavier bekommt, wenn er stirbt, und deshalb konnte ich dann Klavier spielen lernen.«
»Das ist schön«, sagte die Schlumpl. »Aber bei Mattes' Vater ging es nicht um ein Klavier. Es ging um den ganzen Bauernhof, den Mattes als ältester Sohn bekommen hätte.«
»Au weiah«, rief Lotta aus, »heißt das, dass ihr dann gar nichts bekommen habt?«
»Genau. Wir sollten gar nichts bekommen. Wir hatten sehr wenig Geld. Mattes hat im Wald bei den Holzfällern gearbeitet, und so konnten wir uns dieses kleine Haus hier bauen. Wir sind extra weit weg vom Dorf gezogen, weil die Leute uns nicht dort haben wollten. Hier hatten wir unsere Ruhe und auch Platz genug für einen kleinen Garten, um Gemüse und Kräuter zu pflanzen.
Ein paar Jahre später ist der Mattes bei der Arbeit im Wald verunglückt und gestorben. Seitdem lebe ich hier allein.
Ja, ja, die Leute im Dorf erzählen immer noch die alten Märchen über mich. Keiner von denen weiß mehr so recht, wie sie entstanden sind: Weil die jungen Mädchen damals so neidisch auf mich waren. Und die meisten Leute wollen es auch gar nicht wissen, es ist einfacher für sie.«
Die Schlumpl schwieg. Sie dachte noch über ihre Geschichte und die Erinnerungen nach.
Lotta hatte ihren Tee getrunken und fertig gegessen. Sie war sehr nachdenklich geworden. Nur weil die Schlumpl aus einem anderen Volk stammte, weil sie andere Sitten und Gebräuche hatte, und weil sie den Mattes geheiratet hatte, war sie doch keine Hexe. Lotta hatte sie ein wenig lieb gewonnen, als sie ihre Geschichte erzählt hatte. Bestimmt konnte sie noch viel mehr erzählen. Das gefiel dem Mädchen. Sie dachte an ihren Freund Jakob: »Den muss ich einmal mit hierher bringen, damit er die Schlumpl auch kennenlernt.«
Der Vater von Mattes war so zornig auf seinen Sohn, dass er ihn vom Hof gejagt hat und aus seinem Testament gestrichen.«
»Ich weiß, was ein Testament ist«, unterbrach Lotta. »Als mein Opa gestorben ist, gab es auch eines. Er hat geschrieben, dass seine Tochter sein Klavier bekommt, wenn er stirbt, und deshalb konnte ich dann Klavier spielen lernen.«
»Das ist schön«, sagte die Schlumpl. »Aber bei Mattes' Vater ging es nicht um ein Klavier. Es ging um den ganzen Bauernhof, den Mattes als ältester Sohn bekommen hätte.«
»Au weiah«, rief Lotta aus, »heißt das, dass ihr dann gar nichts bekommen habt?«
»Genau. Wir sollten gar nichts bekommen. Wir hatten sehr wenig Geld. Mattes hat im Wald bei den Holzfällern gearbeitet, und so konnten wir uns dieses kleine Haus hier bauen. Wir sind extra weit weg vom Dorf gezogen, weil die Leute uns nicht dort haben wollten. Hier hatten wir unsere Ruhe und auch Platz genug für einen kleinen Garten, um Gemüse und Kräuter zu pflanzen.
Ein paar Jahre später ist der Mattes bei der Arbeit im Wald verunglückt und gestorben. Seitdem lebe ich hier allein.
Ja, ja, die Leute im Dorf erzählen immer noch die alten Märchen über mich. Keiner von denen weiß mehr so recht, wie sie entstanden sind: Weil die jungen Mädchen damals so neidisch auf mich waren. Und die meisten Leute wollen es auch gar nicht wissen, es ist einfacher für sie.«
Die Schlumpl schwieg. Sie dachte noch über ihre Geschichte und die Erinnerungen nach.
Lotta hatte ihren Tee getrunken und fertig gegessen. Sie war sehr nachdenklich geworden. Nur weil die Schlumpl aus einem anderen Volk stammte, weil sie andere Sitten und Gebräuche hatte, und weil sie den Mattes geheiratet hatte, war sie doch keine Hexe. Lotta hatte sie ein wenig lieb gewonnen, als sie ihre Geschichte erzählt hatte. Bestimmt konnte sie noch viel mehr erzählen. Das gefiel dem Mädchen. Sie dachte an ihren Freund Jakob: »Den muss ich einmal mit hierher bringen, damit er die Schlumpl auch kennenlernt.«
Ein lautes Pochen an der Tür schreckte die beiden aus ihren Gedanken. Langsam richtete die Schlumpl sich auf, stand auf, schlurfte zur Tür und öffnete. Da stand Lottas Vater mit dem Jakob davor.
»Guten Tag, Frau äh …«, stotterte er und reichte der Schlumpl die Hand.
»Guten Tag«, sagte die Schlumpl, »Krämer heiße ich.«
Lottas Vater kuckte überrascht. »Krämer, ach, ja … also, wir haben uns Sorgen gemacht, weil Lotta nicht nach Hause gekommen ist. Der Jakob hat mich hergeführt.«
»Ja, wir haben uns ein bisschen unterhalten, Lotta und ich, und da haben wir wohl die Zeit vergessen«, sagte die Schlumpl, die jetzt auf einmal Frau Krämer hieß.
»Lotta hat eine leichte Gehirnerschütterung. Sie muss ganz langsam gehen und sich zu Hause noch ein wenig erholen.«
Langsam stand Lotta auf. Ihr Kopf fühlte sich schon viel besser an. Sie gab der Schlumpl die Hand: »Auf Wiedersehen. Vielen Dank für alles, Frau … äh … Krämer. Wir haben immer ›Schlumpl‹ gesagt«, fügte sie hinzu und schämte sich ein bisschen.
»Was sind schon Namen«, lächelte die alte Frau, und ihre Augen blitzten, »Wenn du mich als Schlumpl kennst, dann will ich für dich auch die Schlumpl sein. Und nun geh mit deinem Vater. Es ist Zeit zum Abschiednehmen. Du kannst ja wiederkommen, und dann bringst du deinen Freund mit. Geh nur mein Kind, du brauchst gar nicht so traurig zu schauen.«
Da nahm sie Lotta doch tatsächlich in ihre guten Arme. Lotta schluckte tapfer und sagte noch einmal leise: »Auf Wiedersehen. Bestimmt komme ich bald einmal wieder.«
»Guten Tag, Frau äh …«, stotterte er und reichte der Schlumpl die Hand.
»Guten Tag«, sagte die Schlumpl, »Krämer heiße ich.«
Lottas Vater kuckte überrascht. »Krämer, ach, ja … also, wir haben uns Sorgen gemacht, weil Lotta nicht nach Hause gekommen ist. Der Jakob hat mich hergeführt.«
»Ja, wir haben uns ein bisschen unterhalten, Lotta und ich, und da haben wir wohl die Zeit vergessen«, sagte die Schlumpl, die jetzt auf einmal Frau Krämer hieß.
»Lotta hat eine leichte Gehirnerschütterung. Sie muss ganz langsam gehen und sich zu Hause noch ein wenig erholen.«
Langsam stand Lotta auf. Ihr Kopf fühlte sich schon viel besser an. Sie gab der Schlumpl die Hand: »Auf Wiedersehen. Vielen Dank für alles, Frau … äh … Krämer. Wir haben immer ›Schlumpl‹ gesagt«, fügte sie hinzu und schämte sich ein bisschen.
»Was sind schon Namen«, lächelte die alte Frau, und ihre Augen blitzten, »Wenn du mich als Schlumpl kennst, dann will ich für dich auch die Schlumpl sein. Und nun geh mit deinem Vater. Es ist Zeit zum Abschiednehmen. Du kannst ja wiederkommen, und dann bringst du deinen Freund mit. Geh nur mein Kind, du brauchst gar nicht so traurig zu schauen.«
Da nahm sie Lotta doch tatsächlich in ihre guten Arme. Lotta schluckte tapfer und sagte noch einmal leise: »Auf Wiedersehen. Bestimmt komme ich bald einmal wieder.«